Es begann vor 1000 Jahren
Abenteuerlust und eine nicht unbeträchtliche Neugier veranlasste die ersten Wikinger im 8. Jahrhundert mit ihren Schiffen aufzubrechen und unbekannte Küsten zu erkunden. Es muss so etwa um das Jahr 1000 gewesen sein, als Leif Eriksson als erster Europäer amerikanischen Boden auf Neufundland betrat. Um für die lange und gefährliche Rückreise genügend Proviant an Bord zu haben, sammelten er und seine Männer große Muscheln an den Stränden ein. Glücklich zu Hause angekommen, entledigte man sich der letzten lebenden Muscheln, indem man sie einfach über die Reling ins Meer kippte.
Ob sich diese Geschichte wirklich so zu getragen hat, ist nicht überliefert. Aber Untersuchungen an alten Muschelschalen aus dem Kattegat belegten, dass diese in Amerika heimische Art seit den Wikingern auch an den nordeuropäischen Küsten lebt. Ihr Name lautet Sandklaffmuschel - oder auch Strandauster, ein Name, der nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Muschel als leckere Delikatesse schmackhaft machen sollte. Die Sandklaffmuschel, Mya arenaria, ist wahrscheinlich die erste durch den Menschen eingeschleppte Art, die heute auch weite Bereiche der Nord- und Ostsee besiedelt. Ihre bis zu 15 cm langen weißen Schalen sind häufig an unseren Stränden zu finden.
Aliens - Globalisierung unter Wasser
Was mit der Sandklaffmuschel begann, ist heute - in Zeiten der Globalisierung und wachsender Handelsströme - immer häufiger zu beobachten. Beabsichtigt oder unabsichtlich gelangen durch den Menschen immer mehr Tier- und Pflanzenarten in für sie zuvor nicht zugängliche Regionen. Sind dort die Lebensbedingungen verträglich und alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Vermehrung gegeben, resultiert oft die Etablierung einer neuen Population.
Die Wissenschaft kennt viele Ausdrücke für diese überraschenden Neuzugänge in unserer Umwelt - Exoten, Neobiota, Gebietsfremde, um nur einige wenige zu nennen. Zur Vereinfachung spricht man heute weltweit meistens von Aliens, wenn Arten menschengemacht in fernen Gebieten auftauchen.
Gewässer stellen ein ganz besonderes Einfallstor für Aliens dar. Die Bio-Invasionen erfolgen größtenteils unter der Wasseroberfläche im Verborgenen und werden oft erst nach Jahren erkannt. Auch die deutschen Gewässer werden - biologisch betrachtet - immer mehr zu einem Gewässer mit internationalem Flair. Die neueste Bestandserhebung belegt, dass schon 141 verschiedene Aliens aus den unterschiedlichsten Tier- und Pflanzengruppen unsere Flüsse, Seen oder Küstengewässer von Nord- und Ostsee erfolgreich besiedeln. Die meisten sind erst in den letzten 40 Jahren eingeschleppt oder freigesetzt worden - Tendenz steigend.
Da Wasser keine Grenzen hat, reicht oft eine einzige kleine Startpopulation aus, um innerhalb weniger Jahre bis Jahrzehnte ganze Flüsse, Küstenabschnitte oder sogar ganze Meere wie die Nord- und Ostsee oder das Mittelmeer erfolgreich zu erobern. Eine echte Bereicherung unserer Natur ist damit jedoch nicht verbunden, da etwa jede zehnte gebietsfremde Art, die sich etablieren kann, gravierende ökologische oder ökonomische Schäden verursacht. Auch in der Unterwasser-Archäologie sind gebietsfremde Arten gefürchtet, da sie vor allem an kulturhistorisch bedeutsamen Holzobjekten (z.B. Schiffswracks) innerhalb kürzester Zeit massive Zerstörungen verursachen können.
Die kleine Muschel Nimmersatt
1993 kam es zu einem spektakulären Auftreten eines Aliens entlang der gesamten deutschen Ostseeküste. Innerhalb kürzester Zeit zeigten viele hölzerne Buhnen, Holzpfähle der Seebrücken und Fähranleger charakteristische Löcher, die auf einen Massenbefall mit der tropischen Schiffsbohrmuschel, Teredo navalis, hinwiesen. Sein wurmähnliches Aussehen lässt es kaum vermuten, dass es sich bei diesem Tier um eine Muschel handelt. Ihre Schale umschließt jedoch nicht, wie bei Muscheln sonst üblich, den gesamten Körper des Tieres, sondern ist an das Vorderende gerückt und zu einem Raspelinstrument umgebildet. Jegliches Holz wird damit siebartig durchlöchert und bricht früher oder später auseinander. Schon Christoph Columbus musste auf seinen Reisen den Verlust von mindestens vier seiner hölzernen Schiffe durch den massiven Befall mit Schiffsbohrmuscheln beklagen.
Seit 1993 bis heute wurden in Deutschland durch Teredo navalis wirtschaftliche Schäden in dreistelliger Millionenhöhe verursacht. Schnell hoffte man, zumindest beim Küstenschutz ein effektives Gegenmittel für die gefräßige Muschel gefunden zu haben: Die meisten Holzkonstruktionen wurden einfach durch Betonpfähle oder Stahlplatten ersetzt. Aber das salzige Wasser der Ostsee ist dermaßen aggressiv, dass sich diese neuen Konstruktionen als äußerst reparaturanfällig herausstellten. Früh kam auch die Idee auf, Kunststoff oder besonders harte Tropenhölzer zu verwenden, was aber aus ökologischen Gründen kontrovers diskutiert wurde. Um die weitere Zerstörung aufzuhalten, einigte man sich darauf, als Übergangslösung nur FSC-zertifiziertes Tropenholz zu verwenden, das eine umwelt- und sozialverträgliche Herkunft der Holzstämme garantiert. Langfristiges Ziel ist es, im Küstenschutz wieder einheimische Nadelhölzer zu verwenden, die zur Abwehr von Teredo imprägniert werden. Momentan werden an der Ostseeküste Testreihen durchgeführt, welche Imprägnierungsmittel und -techniken wirksam und zudem auch umweltverträglich sind.
Teredo navalis liefert sich zur Zeit auch mit den Unterwasser-Archäologen ein Rennen mit ungewissem Ausgang: Wann immer die Forscher in der westlichen Ostsee abtauchen, stellen sie fest, dass in gesunkenen Koggen und in anderen wertvollen Holzschiffen "der Wurm drin" ist. Mindestens 120 Wracks sind schon befallen, und eine umfassende Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Momentan werden auf Grund begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen nur ausgewählte Objekte archäologisch bearbeitet.
Handeln tut Not
Wenn sich erst einmal ein Alien in einem Gewässer festgesetzt hat, besteht normalerweise keine Chance mehr, ihn zu eliminieren. Ein Umstand, der in vieler Hinsicht unbefriedigend ist, aber direkte Bekämpfungsmaßnahmen würden die Schäden nur noch vergrößern. Daher ist es umso wichtiger, die Einschleppung weiterer Aliens zu verhindern. Die vielversprechendste Lösung kann hierfür nur sein, bei den Rahmenbedingungen, die eine Einschleppung ermöglichen, anzusetzen.
Weltweit sorgt vor allem die Schifffahrt für einen unkontrollierten Transport von Tier- und Pflanzenarten, indem sie die blinden Passagiere im Ballastwasser oder angeheftet an den Schiffsrümpfen mitbringt. Allein in den deutschen Häfen werden jährlich 2,2 Millionen Tonnen Ballastwasser, das zur Stabilisierung von Schiffen dient, aus Gebieten außerhalb Europas abgelassen. Fast 70 gebietsfremde Organismen werden hierbei pro Sekunde in unsere Küstengewässer eingeleitet. Auch wenn die meisten von ihnen auf Grund unpassender Umweltbedingungen innerhalb kürzester Zeit sterben, bedeutet jede Freisetzung ein großes Risiko. Dieses Problem ist seit einigen Jahren auch der Politik bekannt. Im Februar 2004 wurde deshalb das internationale Ballastwasser-Übereinkommen verabschiedet. Um die Verschleppung von Organismen zwischen Meeresgebieten zu verhindern, sollen spätestens bis 2016 alle international verkehrenden Seeschiffe mit Ballastwasserbehandlungsanlagen ausgerüstet sein. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass sich keine bzw. auf Grund technischer Ausnahmeregelungen so gut wie keine Organismen mehr beim Ablassen im Ballastwasser befinden.
Dies ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wie man aber die Einschleppung von Aliens an den Bordwänden effektiv verhindern kann, ist bisher technisch nicht gelöst. Ein besonderes Problem ist auch die Ausbreitung von Aliens durch Schifffahrtskanäle, die zuvor getrennte Meere miteinander verbinden. So wurde am 17. November 1869 der Suezkanal eröffnet, der seitdem einen ungehinderten Austausch zwischen den Tieren und Pflanzen des Roten Meeres und des Mittelmeeres ermöglicht. Bis heute sind dadurch hunderte neue Arten vor allem ins Mittelmeer gelangt, darunter wahrscheinlich auch einige Holzschädlinge, wie zum Beispiel die Schiffsbohrmuscheln Bankia carinata und Teredo bartschi. Ein Stopp der Bio-Invasionen über Kanäle würde nur mit großem technischen Aufwand realisierbar sein (Stichwort Ökosperren). Diese Vision zum Schutz der biologischen Vielfalt und insbesondere auch von Kulturgütern wird wahrscheinlich auf Grund der hohen Kosten für immer ein Wunschdenken bleiben - zumindest ist momentan (noch) kein Umdenken bei Entscheidungsträgern zu erkennen.
Interessante Literatur zum Thema:
- Halbwidl, E. & Hoppe, K. (2009): Wracks in Gefahr. Eine Bohrmuschel vernichtet Kulturgüter in der Ostsee. - Archäologische Nachrichten aus Schleswig-Holstein 15: 38-41.
- Nehring, S. (2000): Ballastwasser und seine ökologischen Auswirkungen. - Schiff & Hafen 5/2000: 17-20.
- Nehring, S. (2008): Gebietsfremde Arten in unseren Gewässern: Die Handlungsmaxime heißt Prävention. - Natur und Landschaft 83: 434-437.
- Reinfeld, M., Müller, J., Shipway, R. & Varinlioglu, G. (2013): Schiffbruch zu Gunsten der Forschung - Neue Studien an der "Uluburun III". - In: Reinfeld, M. (Hrsg.), Archäologie im Mittelmeer. Philipp von Zabern, Darmstadt Mainz: 9-17.